g26.ch

19.1.06

500 Jahre Schweizergarde

Bodyguards des Heiligen Vaters

Aus der einstigen Truppe von Landsknechten ist ein modernes, effizientes Sicherheitscorps geworden

Bei den Feierlichkeiten treffen sich aktive und auch viele ehemalige Gardisten. Der Dienst im Vatikan hat sie geprägt – oft ihr Leben lang.

Rund um die Porta Sant’Anna herrscht an diesem Morgen schönstes römisches Chaos. Redend und gestikulierend fahren Angestellte des Vatikans mit ihren Autos und Motorrollern durch den Haupteingang. Priester in Soutanen eilen geschäftig durch Nebeneingänge, während gegenüber der Kaserne diskret vatikanische Diplomaten ihre Limousinen verlassen. Das Treiben hier ist ein Schauspiel. Zu den Feierlichkeiten der 500-Jahr-Feier der päpstlichen Truppe werden in diesen Wochen und Monaten Menschen aus aller Welt anreisen.

Pius Bieri ist seit über einem Jahr bei der berühmtesten «Söldnertruppe» der Welt. Auch er geniesst diese Kulisse stets neu. Nach Dienstschluss kommen neugierige junge Leute zu ihm und wollen wissen: Wie wird man Schweizergardist? In einem Kaffee im Viertel Borgo Pio erfahren sie etwas über seine Vita: Aus katholischem Elternhaus bei Luzern stammt er, und schon sein Bubentraum war es, einmal Schweizergardist zu sein. Nach einer Schnupperwoche entschloss er sich, einzutreten.

Als Pius Bieri seinen Gästen die Besonderheiten des Einzel- und Verbandsexerzierens und den Wachdienst erklärt, erkennen sie: Die Garde mit ihren pittoresken Renaissance-Uniformen ist mehr als eine Touristenattraktion. Sie ist ein Korps mit ernstem Sicherheitsauftrag. Die Terrorwarnungen haben auch hier Spuren hinterlassen. Man schaut genauer hin. Gardist Bieri erzählt von sonderbaren Begebenheiten an der Porta Sant’Anna. etwa wenn sich Leute einmal als «Jesus» oder «Johannes der Täufer» vorstellen oder einfach nur drängeln, das mitgebrachte Weihwasser aus Lourdes selbst dem Papst überreichen zu wollen.

Auch anderentags kommen Besucher ins Gardequartier, darunter angehende Schweizergardisten. Gardekommandant Elmar Theodor Mäder zeigt ihnen die Näherei, in der die Uniformen massgeschneidert werden. Rot-Gelb-Blau, in den Traditionsfarben des Hauses Medici, liegen sie noch in Streifen auf dem Schragen. Der Kommandant lässt sie auch einen Blick in die Waffenkammer werfen, wo silbrigweisse Helme und Galauniformen aus den verschiedenen Epochen ausgelegt sind. Jahrhundertalte Gewehre, Halbharnische und Hellebarden lagern dort in ihren Halterungen.

In der Bibliothek der Garde schräg gegenüber rätseln Männer über italienischen Vokabeln. Die Gardisti sollen sich in Rom auch in der Landessprache ausdrücken können. An einem Brett stehen Informationen über die Freizeitgestaltung: Billard, Musikkorps, Fussballspiel im FC Guardia und Joggen in den vatikanischen Gärten. Unter den Besuchern ist auch Anton Kurmann aus Näfels. Vorsichtig streicht er mit der Hand über den Filz der Uniformen. Auch für ihn gehört die Schweizergarde zum Vatikan wie der Petersdom. Dem 19-Jährigen hat die Truppe früh Eindruck gemacht. Richtig Feuer gefangen hat er während des Papstbesuches in Bern 2004.

Das Terrain der Gardisten: der Päpstliche Palast mit seinen Flügeln, Treppen und Höfen und Fluchtwegen, falls es mal brenzlig werden sollte, der Cortile di San Damaso, wo sonst die Limousinen der königlichen Oberhäupter vorfahren, die Sixtinische Kapelle und die Sala Regia, wo Künstler ihrer Zeit im Dienste ihrer Päpste Unsterbliches geschaffen haben. Es gibt auch weniger angenehme Seiten des Gardistenseins. Manchmal ist es kaum auszuhalten, wenn die Sonne auf den federgeschmückten Blechhelm brennt, dieses Jucken im Rücken, das Kribbeln in der Kniekehle beim Strammstehen.

Doch das sind nicht die Dinge, die so manchem Gardisten den Alltag hier drinnen sauer machen. «Manchmal hat man im Palast fast zu viel Zeit zum Sinnieren. Man kann nicht immer ein Buch lesen oder Italienisch lernen», sagt Gardist Bieri. Gross sei derzeit auch der Druck, all die neuen Gesichter der Kurie auch ohne Ausweis zu kennen. Doch er sagt auch: «Vergessen ist das alles, wenn ich in einsamen Fluren dem Papst begegnen kann oder neben ihm Ehrendienst leisten kann.»

Wie seine Kollegen, so wird auch Pius Bieri von den Besuchern neugierig über seine Erlebnisse rund um das Sterben von Johannes Paul II. befragt, als Rom zur Bühne einzigartiger Ereignisse wurde. Als das Lebenslicht des polnischen Pontifex erlosch, hatte er gerade Dienst. «Im Innern des Palastes hörte man die ganze Nacht über die Leute auf dem Petersplatz singen, beten und klatschten. Das ging durch mich hindurch», erinnert er sich. Als Johannes Paul II. starb, hatte Bieri vor der Papstwohnung Dienst. Er konnte beobachten, wie der Kämmerer seine Arbeit verrichtete. Und Joseph Kardinal Ratzinger kam.

Über seinen neuen Dienstherrn sagt er: «Er ist ein Freund der Garde. Er wohnte ja vorher gleich neben unserem Eingang und hat immer gerne mit uns geredet.» Diese Tage haben die Truppe eng zusammengeschweisst. Überhaupt hat das Interesse an ihr in den letzten Monaten merklich zugenommen. Vom «Papstjahr» 2005 profitierte auch die Schweizergarde. Bei den beiden Rekrutierungsstellen in der Schweiz liegt schon wieder eine stattliche Anzahl von Bewerberbriefen. Das war nicht immer so.

Die rätselhaften Umstände der Ermordung des Gardekommandanten Alois Estermann 1998 beschädigten das Image schwer. Schlagzeilen wie «Wojtylas Chaoten-Truppe» nagten an der Reputation der Garde, die eine Sollstärke von 110 Mann hat. Es gab sogar Jahre, in denen ehemalige Gardisten eingeflogen werden mussten, um die Hundertschaft zu vervollständigen. Das monatelange Mediensperrfeuer hatte aber schliesslich doch weniger negative Auswirkungen auf die Rekrutierung neuer Schweizergardisten als befürchtet, wie Karlheinz Früh von der Informations- und Rekrutierungsstelle Schweiz unterstreicht.

Spricht man Neugardisten auf dieses Thema an, erkennt man, dass die Jungen nach vorne schauen wollen. Lieber diskutieren sie darüber, welches Traditionsgebiet 2006 das grösste Kontingent an Gardisten stellt. Ist es das Wallis, Luzern oder doch St. Gallen? Die da wetteifern, mussten genug tun, um den Anforderungen zu entsprechen. Gut beleumdet mussten sie sein, unverheiratet und katholische Schweizerbürger. Die Rekrutenschule mussten sie absolvieren und mindestens 1,74 Meter gross sein.

Viel mehr interessiert sie auch, dass sie heute in Rom noch ein drittes Dienstjahr anhängen können, um die Ausbildung zum eidgenössisch diplomierten Sicherheitsfachmann abzuschliessen. Das ist neben dem Wunsch, ins Ausland zu gehen und einen prestigeträchtigen Dienst zu versehen, einer der Gründe, weshalb sich junge Männer hier bewerben. Auch die von Beat Bächler geleiteten Schnupperwochen für potenzielle Gardisten stossen auf ein positives Echo. Karlheinz Früh nennt noch einen anderen Grund: «Die Jungen getrauen sich heute wieder mehr als früher, den Glauben zu leben und dies auch zu zeigen.»

Beim Blick in die Zimmer der Gardisten wird es ganz «profan». Sie sind Jungs von heute. Sie haben DVD-Geräte, Scheiben von Robbie Williams und Laptops mit WLan-Anschlüssen. Einige haben stolz das Foto vom Tag ihrer Vereidigung neben das der Freundin ans Brett geheftet. Wie ein riesiger Bettüberwurf hängt die Kantonsfahne in den Zimmern. Die Galauniform hängt sorgfältig aufgebügelt neben den Jeans. Das Hallen der Exerzierschritte und aneinander knallende Billardkugeln – das Gardequartier hat eine eigene Geräuschmixtur und ist eine Welt für sich. Gardisten erzählen aber auch, dass sich in den Zimmern eine Menge Missmut aufstauen kann.

Ex-Gardist Beat Bächler kennt noch jeden Griff, er hat hier von 1970 an zwei Jahre gedient. Der Schweizer staunt über den heutigen Komfort: «Vor 35 Jahren herrschte hier noch die Atmosphäre des Militärdrills. Damals war die Garde mit einem Stand von 35 Leuten am Rande des Niedergangs. Unser täglicher Dienst war viel härter.» Dennoch gibt es für ihn Dinge, die unverändert sind: «Damals wie heute braucht es Mut zu sagen: Ich gehe zur Schweizergarde. Mancher Jugendlicher muss sich erstmals für eine Überzeugung outen, die nicht unbedingt in den Zeitgeist passt. Das formt.»

Das runde Jubiläum der päpstlichen Truppe versetzt das Gardequartier in fiebrige Erregung. Das Musikcorps übt im Instrumentenraum bereits für die Feierlichkeiten. «Es ist eine Gelegenheit, die Bande zwischen der Heimat und der Garde aufs Neue zu festigen», sagt Kommandant Elmar Mäder. In den Räumen tauchen immer wieder altbekannte Gesichter auf. Als die Besuchergruppe in der Gardekantine bei Pasta und Wein sitzt, wird sie von ehemaligen Kameraden bedient. Häufig reisen pensionierte Gardisten aus der Schweiz an, um hier über Wochen freiwillig auszuhelfen. An solchen Punkten zeigt sich: Die Schweizergarde ist eine Welt für sich, sie hat ein eigenes Sozialgefüge. Einige bekunden offenbar Heimweh nach dem Leben in der Garde. Hier begegnen sie den Träumen und Idealen ihrer Jugend, den Bildern der Ewigen Stadt.

Der Dienst für den Papst, die Massen von Pilgern auf Distanz halten, die ihnen täglich den Kirchenstaat einrennen, nur die richtigen Gesichter durchlassen – das hat manchen Jungen geformt. Wer einmal hier stand, möchte den Draht nach Rom behalten. Dafür gibt es in der Schweiz die «Vereinigung ehemaliger päpstlicher Schweizergardisten», die 1921 in Fribourg gegründet wurde. Von den in der Garde vermittelten Dingen wie Disziplin und Zuverlässigkeit haben die meisten beruflich später profitiert. Einige hier am Tisch sind nach ihrer Gardezeit zur Polizei, zur Grenzwache oder auch zu privaten Sicherheitsdiensten gegangen. Auch in der Wirtschaft konnten Leute durch den Garde-Bonus reüssieren.

Beat Bächler sagt: «Nützt man als junger Mensch die Zeit hier optimal aus, verlebt man hier Jahre, die einem später niemand zahlen kann.» Zu hohen Anlässen und zu Bestattungen ihrer Mitglieder schlüpften Einzelne wieder in das Gardistengewand. Bächler musste bei manchen früheren Gardisten jedoch noch Überzeugungsarbeit leisten, damit die Jubiläumsveranstaltungen nicht bloss als Feier für Ausgemusterte verstanden werden, sondern als ein von ehemaligen Gardisten organisiertes Fest für die derzeitige Garde in Rom.

Spektakulär, wenn auch nicht so strapaziös wie im Winter 1506, ist der Fussmarsch über 723 Kilometer, den eine Gruppe ehemaliger Gardisten im Jubiläumsjahr antreten wird. Start ist am 7. April in Bellinzona im Tessin. Entlang der historischen Via Francigena geht es über Ispra, Mailand, Siena und Viterbo nach Rom. Am Nachmittag des 4.Mai will die Truppe durch die Porta del Popolo zum Petersplatz marschieren.
Heute ist Papstaudienz. Gardist Pius Bieri fühlt sich bei seinem Dienst durchaus wohl als allseits beliebtes Fotomotiv. Sein Blick geht zum Säulenring, dann zum Obelisken, schliesslich zu einem Flugzeug mit blinkenden Positionslichtern am römischen Himmel. Von einer der oberen Stufen beobachtet er, wie eine farbenfrohe Pilgerschar den Petersplatz allmählich füllt.

Unten auf dem Platz ist auch Anton Kurmann unterwegs zur Papstaudienz. Er sieht erstmals, wie Gardisten in Zivil mit ernster Miene jeder Regung im Publikum nachgehen, während das Defilee der Honoratioren an Papst Benedikt XVI. vorbeizieht. An diesem Januartag kommt es bei der Papstaudienz zu einem Treffen der Generationen. Aktive Gardisten, ehemalige Gardisten und Sympathisanten der Schweizergarde sind nun auf dem Platz. Es scheint: Wer einmal in der Kaserne gelebt und am Päpstlichen Palast gedient hat, den lässt die Erinnerung daran nicht mehr los.


www.merkur.de Vera Rüttimann Rom 19.01.2006

Externe Links
www.schweizergarde.org
www.schweizergarde.ch
www.500jahreschweizergarde.ch
www.gsp06.ch
www.pfarrerheller.ch

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